Muriel Spark Joy 9: „The Public Image“

Die Polygon-Ausgabe von „The Public Image“, Vorwort: Lucy Ellmann, roter Titel auf grauem Grund, Autorinnenname und Nummerierung in schwarz

Zurzeit lese ich alle 22 Romane von Muriel Spark (1918-2006) in chronologischer Reihenfolge und versuche, ihrer Faszination auf den Grund zu gehen. Die abgebildete und von mir ggf. zitierte Ausgabe ist die Polygon-Gesamtausgabe, Edinburgh 2017.

Titel: The Public Image (1968, dt.: In den Augen der Öffentlichkeit, Ü: Christian Ferber, Rowohlt, 1969)

Was passiert: Annabel Christopher ist eine britische Schauspielerin auf dem Weg zum Superstar. Sie gilt wegen ihrer subtilen, womöglich herbeifantasierten erotischen Ausstrahlung als „English Tigress“. Italien und den Kontinent hat sie bereits erobert, ihr Hollywoodruhm scheint in Reichweite. Annabel dreht in Rom und lebt dort mit ihrem Mann Frederick, der durch Assoziation mit ihr einigen Erfolg als Drehbuchautor genießt, und ihrem Sohn Carl, einem Säugling. Sie und ihr Mann verwenden viel Mühe darauf, in der Öffentlichkeit ein bestimmtes Image ihrer Ehe und ihrer Persönlichkeiten zu erzeugen: glücklich verheiratet, aber voll geheimnisvoller Leidenschaft. Als Annabel immer mehr das Interesse an diesem Image verliert, wendet Frederick sich gegen sie und versucht, durch eine dramatische Wendung ihre Karriere und ihr Leben zu zerstören (es gibt einen Todesfall, gefälschte Briefe, Erpressung, Affären, Gerüchte, Drogenmissbrauch, Orgien, usw.).

Was ist gut: Ich mag sehr, bewundere und möchte lernen, wie Spark das Tempo regelt. Sie beginnt sozusagen mit großen Schritten und breiten Pinselstrichen. Am Anfang erklärt sie die Personen und die Vorgeschichte, als würde sie eine Synopsis schreiben, unterbrochen nur die eine oder andere Dialog-Szene zu Illustrationszwecken. Ich liebe ihre Ungeduld, die mich zwischen den Zeilen anspringt: Es ist manchmal bei Spark, als würde sie sich für die konventionelleren ihrer Settings in Wahrheit gar nicht interessieren, als würde sie sagen: Ja, ja, ihr wisst schon, Filmstar, Klatschpresse, Dreharbeiten, windiger Produzent, nichtsnutziger Ehemann, was braucht ihr noch? Können wir anfangen?
Lucy Ellmann weist in ihrem Vorwort zu Recht daraufhin, wie beiläufig, selbstverständlich und liebevoll die Beschreibungen von Annabel Christophers Mutterschaft sind. Noch in den dramatischsten Situationen gehen der Schlaf und die Versorgung ihres kleinen Sohnes vor, sehr zum Ärger der anderen männlichen Protagonisten, die bei aller Schuftigkeit die ganze Zeit erwarten, dass Annabel sich um sie und ihre Wehwechen kümmert und nicht um ihren Säugling. Dabei finde ich es außerordentlich gelungen, wie Spark auf dem kurzen Raum dieses Romanes (die Polygon-Ausgabe hat 116 Seiten) Annabel ohne stereotypische Zuschreibungen lebendig werden lässt. Weder ist Annabel eine hauptsächlich mütterliche Figur, noch ist sie das klischeehafte Starlet-Dummchen, dass in einer Krisensituation zur eigenen Verblüffung über sich selbst hinauswächst. Annabel ist eine unangestrengt subtile Figur, der es leicht fällt, die ihr übelwollenden Männer auszutricksen, einfach, weil diese sich noch weniger anstrengen als sie. Vielleicht, aber diese Kategorie wäre wohl anachronistisch, ist „The Public Image“ der bisher am offensichtlichsten feministische Roman von Spark, den ich gelesen habe. Er ist auch, trotz des Todesfalles und einiger eher oberflächlicher Betrachtungen zum Thema Suizid, einer ihrer positivsten und leichtesten Romane.

Was ist nicht so gut: In vielen Klappentexten und Rezensionen und auch in einem etwas überflüssigen Blurb-Zitat von John Lydon (Sex Pistols) ist die Rede davon, was für eine intelligente Dekonstruktion des Starrummels, der Ruhmmaschine und der Imagebildung dieses Buch sei. Tatsächlich wirkt es auf mich, als würde das Thema öffentliches Image vs. persönliche Authentizität Spark nur als plot device interessieren, und vielleicht als Karikatur dessen, wie man als Autor*in Figuren erfindet: indem man ihnen ein Image gibt. Insofern wirken die Passagen, in denen es um Annabels schützenswertes „public image“ geht, auf mich hin und wieder aufgesetzt. Da sie einen nicht unbeträchtlichen Teil des Romans ausmachen, wirkt das Buch vergleichsweise unausgegoren. Aber nur im Kontext der ansonsten fast immer absolut hochglanzpolierten Schmuckstücke, die Sparks Meisterinnenwerke sind.

Was lernen wir über Muriel Spark: Sie hatte offenbar eine Abneigung gegen Männer, die zu faul zum Denken, aber groß im Fühlen waren, jedenfalls entnehme ich das ihren Beschreibungen von Frederick und dem character arc, den sie ihm zugesteht.

M*S*J: 9/10